16.01.2008

Eine Partei für alle?

Brauchen wir neben der Partei Die Linke eine marxistische Organisation? Auszüge aus der Podiumsdiskussion der XIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz

jW
Das Podium während der Diskussion: Helmut Laakmann, Hans Heinz H
Das Podium während der Diskussion: Helmut Laakmann, Hans Heinz Holz, Dietmar Koschmieder, Sahra Wagenknecht, Markus Mohr (v. l. n. r.)
Dietmar Koschmieder (junge Welt, Moderator): Brauchen wir neben der Partei Die Linke noch eine marxistische Organisation?

Markus Mohr (Erwerbsloser, Aktivist der autonomen Bewegung): Ich bin selber nicht Mitglied in der Linkspartei, ich war nie Mitglied in einer Partei. Aber warum sollte ich etwas dagegen haben, wenn es neben dieser Linkspartei noch eine marxistische Organisation gibt? Die gibt es doch schon innerhalb dieser Partei – sie heißt Kommunistische Plattform. Und das Gute an ihr ist: Sie hat mich bisher an absolut nichts gehindert. Es kommt darauf an, die Schnittmengen herauszufinden: Worauf setzt die Kommunistische Plattform (KPF), worauf setzt Die Linke? Ich vermute, sie setzen auf die Produktiven. Dazu sage ich aber nein – sie sollten auch auf die Überflüssigen setzen.

Koschmieder: Das Thema dieser Podiumsdiskussion ist ja nicht, ob wir eine marxistische Organisation in der Linkspartei brauchen – die Frage ist: Brauchen wir daneben, außerhalb der Partei, eine marxistische Organisation in der Linken. Die Frage war: Brauchen wir außerhalb dieser Partei eine marxistische Plattform? Ist es vernünftig, daß es neben den marxistischen Strukturen innerhalb der Linken auch welche außerhalb gibt, wie etwa die DKP?

Sahra Wagenknecht (MdEP, Die Linke): Es wäre endlos arrogant, jetzt zu sagen: Wir haben Die Linke und bitte, löst euch alle auf und kommt rein zu uns. Es gibt ja historische Gründe, warum es auch Organisationen wie die DKP gibt. Sie haben lange Traditionen, da kann man nicht einfach sagen: Löst euch auf. Das Wichtige ist, daß man zusammenarbeitet. Ich denke, daß die Linkspartei in ihrer gegenwärtigen Breite eine ganz wichtige Rolle spielt. Die Linke gibt es jetzt seit einem guten halben Jahr und seitdem hat sich im gesellschaftlichen Klima in diesem Land schon einiges geändert, aus vielen Gründen. Natürlich auch, weil dieser Kapitalismus barbarischer ist als je zuvor, weil die Menschen täglich spüren, wie ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird und wie sich auf der anderen Seite unglaubliche Reichtümer anhäufen. Das ist die Alltagserfahrung. Und ganz dramatisch wird es, wenn der Arbeitsplatz wegfällt, wenn Hartz IV ansteht.

Das ist eine Grundlage für Stimmungsveränderungen, was aber nach meiner Überzeugung nicht reicht. Menschen haben sich immer daran orientiert, was auch andere denken. Gibt es einen Trend, eine Kraft, die das artikuliert? Es kommt sehr schwer eine Bewegung zustande, wenn jeder einzelne das Gefühl hat, ausgestoßen zu sein, ohne daß es eine politische Kraft gibt, die das thematiert. Insoweit denke ich, daß Die Linke Themen gesetzt hat, die den Kapitalismus insgesamt in Frage stellen – durch ihre bloße Existenz, durch ihre politischen Inhalte, die deutlich linker sind, als vieles, was in den letzten Jahren die Vorgängerpartei PDS vertreten hat.

Die junge Welt hatte dankenswerterweise einen Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zitiert, darin ging es um die Systemfrage und den Systemwechsel. Der Leitartikler denkt darin darüber nach, daß das untere Drittel bereits von der Gesellschaft abgestoßen ist und sich von ihr abwendet, da macht er sich keine Illusionen. Aber er macht sich ernsthaft Sorgen, daß jetzt auch das zweite Drittel – die ehemaligen Mittelschichten – verlorengeht. Der Autor schreibt, daß jetzt auch die Eliten sich die Systemfrage stellen sollten.

Wir müssen mit allen Kräften zusammenarbeiten, die sich in diesem Landen als links verstehen – ob sie sich nun in der Linkspartei oder separat organisieren. Es geht nicht nur darum, daß man bei Wahlkämpfen gemeinsam antritt. Viel wichtiger ist es, daß wir gemeinsam daran arbeiten, daß in diesem Lande außerhalb der Parlamente endlich mehr Bewegung entsteht.

Inzwischen sagen 70 Prozent der Bevölkerung, daß die deutschen Soldaten aus Afghanistan raus müssen. 70 Prozent meinen, die Deutsche Bahn und die Energieversorgung wären besser in staatlicher Hand. Eine übergroße Mehrheit ist für Mindestlohn, eine übergroße Mehrheit sagt, wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit. Und inzwischen denken bundesweit sogar 50 Prozent der Menschen, daß der Sozialismus eigentlich eine gute Idee ist. Das zeigt doch, wohin sich das Denken entwickelt. Und gleichzeitig ist es noch viel zu ruhig im Lande!

Und ich denke, daß wir daran arbeiten müssen, daß die Unzufriedenen auch spüren, daß sie etwas ändern können. Daß das möglich ist, haben wir an den Diskussionen über den Lokführerstreik gesehen. Da geht es zwar nur um eine konkrete, tarifliche Forderung. Die sogenannten Eliten des Kapitals haben aber nicht davor wirkliche Angst, sondern sie fürchten, daß es ihnen ans Eingemachte gehen könnte. Und deswegen ist es sehr wichtig, daß Die Linke sagt: Wir brauchen in diesem Lande politische Streiks, um Veränderungen zu erzwingen.

Helmut Laakmann (Sprecher beim Arbeitskampf im Krupp-Stahlwerk Rheinhausen): Natürlich brauchen wir neben der Linken marxistische Organisationen. Unser größtes Problem sind z. B. die Sklavenarbeiten in unserem Land, wo Leute für einen Euro pro Stunde arbeiten. Wo Kinderarmut existiert, wo Rentner nach Abzug der Miete kaum noch etwas für den Lebensunterhalt übrig haben. Da ich in einer Hilfsorganisation arbeite, gucke ich in viele Kühlschränke – die sind einfach leer, hauptsächlich bei Rentnern, die alleine leben. Vor allem bei Frauen, Altersarmut ist ja weiblich. Parallel dazu gibt es eine Entsolidarisierung der Bevölkerung. Viele sagen, ich mache das hier allein, ich versuche, meinen eigenen Weg zu gehen. Und sie vergessen oft, daß Solidarität eigentlich die stärkste Macht ist, die wir haben. Deswegen ist es wichtig, daß alle Linken innerhalb unserer Bewegung mitmachen. Die Linke ist viel größer als die Linkspartei. Deswegen wäre es dumm von uns, irgendwelche Gruppierungen auszuschließen. Alle sind aufgerufen, sich zu beteiligen und solidarisch mitzumachen, damit es eine andere Republik gibt.

Welches gesellschaftliche Modell sich durchsetzen wird, wage ich nicht zu sagen. Ich bin kein lupenreiner Marxist, ich bin auch kein Gewerkschaftsfunktionär. Bei der Organisation des Stahlarbeiterstreiks in Duisburg-Rheinhausen vor 20 Jahren z.B. war die Gewerkschaft nicht zu sehen, da hab ich das machen müssen – und ich war Betriebsleiter. Ich bin nicht der absolute Marxist, aber ich lerne jeden Tag dazu, und ich möchte, daß die Menschen solidarisch miteinander umgehen.

Hans Heinz Holz (Philosoph): Erstens: Brauchen wir überhaupt noch eine Linke, außer der, die es schon gibt? Und zweitens: Brauchen wir dazu noch extra eine marxistische Linke? Seitdem sich die Sozialdemokratie, also die SPD, zum Erfüllungsgehilfen der Kapitalinteressen in Deutschland gemacht hat, gibt es auch im bürgerlich-parlamentarischen Spektrum keine wirklich linke Opposition mehr. Eigentlich überhaupt keine Opposition, denn die SPD vertritt im Grunde genommen die gleichen Interessen, die auch CDU und FDP vertreten. Wenn auch mit Varianten.

Das geht zurück auf das Godesberger Programm, mit dem die SPD ihre ideologische Wende von der Arbeiterbewegung weg hin zur sogenannten Volkspartei vollzog. Infolgedessen hat sich der Fokus derjenigen, die oppositionell zu dem bestimmenden System standen, mehr und mehr auf Bewegungen verlagert. Wie etwa auf die Volksbewegung gegen die Wiederbewaffung in den frühen 50er Jahren bis hin zu den heutigen Sozialforen. Aus vielen soziologischen Gründen heraus ist es aber auch normal, daß diese Bewegungen nach einem Aufschwung wieder auslaufen. Alle Bewegungen sind, nachdem sie an einen Höhepunkt gekommen sind, zunächst einmal wieder versandet, weil sie keine politische Organisation waren, sondern eben nur eine Bewegung. Politische Ziele setzt man nur mit Organisationen durch.

Insofern finde ich es auf jeden Fall begrüßenswert, daß dieses linke Spektrum aus Marxisten und Nichtmarxisten im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft seine politische Vertretung in einer Partei findet, die sich Linkspartei nennt. Das ist ein Fortschritt in der deutschen politischen Landschaft.

Daß allerdings diese Partei für sich in Anspruch nimmt – und das sagt der Titel der Partei – »die« Linke zu sein, das halte ich für eine Anmaßung. Außerhalb der Organisation dieser Partei gibt es ein großes Spektrum von Linken – und damit meine ich nicht nur die DKP, der ich persönlich angehöre. Dazu gehört auch eine Reihe anderer Gruppierungen, die ins linke Spektrum hineingehören.

Was kann denn das Gemeinsame sein, das uns alle vereint, die an dieser Gesellschaft etwas ändern wollen? Daß wir eine Strategie entwickeln müssen, die es möglich macht, politische Gegenmacht gegen diese herrschende Klasse aufzubauen. Aber wenn ich sage »herrschende Klasse«, dann sage ich bereits etwas über das theoretische Verständnis: Warum leben wir in einer Gesellschaft, die nicht nur an die gegenwärtige, sondern an die Krise der gesamten Menschheit heranführt? An das, was Rosa Luxemburg Barbarei genannt hat?

Nun gibt die marxistische Linke auf die Frage dieser Strategie eine klare Antwort. Sie sagt, die einzigen, die dieses Ausbeutungsverhältnis aufheben können, sind die Ausgebeuteten selbst. Also die Arbeiterklasse – wie immer sie sich auch im Laufe der Zeit verändert hat. Sie bleibt die Klasse der Ausgebeuteten, derjenigen also, die keinen Besitz an Produktionsmitteln haben. Das ist die Definition der Arbeiterklasse. Der Widerstand gegen das System von Ausbeutung, Unterdrückung und Herrschaftsverhältnissen kann, wenn wir dem marxistischen Gedanken folgen, nur von denen kommen, die selber Opfer dieses Systems sind. In der klassischen Theorie haben wir dafür die Formel »historische Mission der Arbeiterklasse«. Und das meine ich, vereint uns als Linke – bei allen Unterschieden im konkreten Ziel.

In der Programmatik der Partei, die sich heute Die Linke nennt, können wir aber keine Orientierung auf das klare Ziel einer sozialistischen Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft entdecken, keine Aussage zur Durchsetzung der historischen Mission der Arbeiterklasse.

Ein proppevoller Saal während der Podiumsdiskussion belegte das
Ein proppevoller Saal während der Podiumsdiskussion belegte das große Interesse
Foto: Gabriele Senft
Das heißt nicht, daß diese Partei überflüssig wäre, sie hat durchaus ihren Stellenwert. Aber neben ihr muß es doch auch Organisationsformen geben, in denen das Bewußtsein für die Veränderung dieses Systems und nicht nur für dessen Verbesserung wachgehalten wird.

André Brie galt einmal als Vordenker der PDS, er hat aus der Opposition heraus lauter schöne Konzepte entwickelt. Er fordert, diese Linkspartei müsse für 2009 auf ein Wahlergebnis vorbereitet sei, das zum Mitmachen befähige. Mitmachen in dieser Gesellschaft, die wir verändern wollen? Ich weiß, daß Brie nicht die Meinung der Masse der Basis dieser Partei vertritt, aber Parteien werden doch meistens von ihren Parteiführungen geleitet. Und ich unterstelle einer ganzen Reihe von Genossen aus der Partei Die Linke, daß sie damit nicht einverstanden sind. Aber immerhin, diese Partei hat da, wo sie an die Fleischtöpfe des Regierens herankam, sich auch zum Umkippen bereitgefunden. Und zwar unter Preisgabe von Positionen, die sie hätte vertreten können. Und da ist Mißtrauen angebracht, ob diese Partei als linke Opposition ausreicht.

Die DKP ist zwar eine kleine Partei, aber sie macht sich unentbehrlich, solange sie sich als das Gewissen dieses politischen Kampfes etablieren kann und immer wieder herausstellt, daß wir nicht von den Grundsätzen abweichen dürfen.

Mohr: Genosse Holz, es ist schwer in deinem langen Beitrag Elemente für die Zukunft zu sehen, wenn man intellektuell nur in die Vergangenheit blickt. Mit deiner Bemerkung, daß Bewegungen eben nur Bewegungen und keine politische Organisierung sind, hast du mein 30jähriges politisches Engagement abqualifiziert. Du katapultierst dich raus aus dem Widerstand gegen autoritäre Strukturen. Es ist doch eine gesellschaftspolitische Bankrotterklärung, wenn man sagt, Bewegungen seien keine politische Organisierung.

Koschmieder: Es wird doch gar nicht bestritten, daß Bewegungen auch außerhalb von Parteien dringend notwendig sind. Es ist m. E. kein Zufall, daß so mancher, der in solchen Bewegungen kämpft, sich irgendwann einmal organisiert – auch in einer marxistischen Partei. Das muß nicht so sein, aber es gibt genügend Beispiele dafür. Wir sind uns einig, daß wir nicht nur eine kommunistische Partei und nicht nur eine Linkspartei brauchen. Wir werden auch in Zukunft auf diese Bewegungen nicht verzichten können.

Laakmann: Es ist vielleicht nicht so schwierig, Genosse Holz, theoretisch über das zu sprechen, was du uns gerade gesagt hast. Wir sollten aber wissen, daß es ungewöhnlich ist, daß so viele engagierte Menschen wie hier zusammensitzen. Wir müssen es aber schaffen, daß wir die Menschen draußen ansprechen. Wir hatten zum Beispiel in Rheinhausen einen Bürgerentscheid, da wollte der CDU-Bürgermeister das Freibad schließen. Da sind die Menschen auf die Straße gegangen und haben 27000 Unterschriften dagegen gesammelt. Dann war Wahltag, und kaum einer ging wählen. Und jetzt wird das Freibad geschlossen – im Namen der Bürger. Das ist es, was wir ändern müssen! Wir dürfen nicht mehr in Gruppen denken, und es ist richtig: Die Politik fängt auf der Straße an, da gehört sie im Anfang auch immer hin, bis sie dann im Parlament angekommen ist. Für mich ist wichtig, was die Linke mit den Bürgern zusammen hinkriegt. Ob das eine Vorstellung ist, die wir alle tragen, das weiß ich nicht, das liegt an ihrer Stärke, die sie einbringt. Nur: Die Republik, in der wir jetzt leben, die will keiner mehr so. Dieses Bewußtsein wächst von Tag zu Tag.

Koschmieder: Ist der Klassenbegriff überholt?

Wagenknecht: Die Frage ist nicht, ob wir in Klassen denken, sondern ob es sie gibt. Sie sind aber Realität! Der Klassenkampf von oben, den wir seit 15 Jahren erleben, ist deshalb so erfolgreich, weil diejenigen, die wir traditionell als Arbeiterklasse bezeichnen, sich selbst nicht so sehen. Ich würde daher z.B. bei einer Gewerkschaftsveranstaltung den Klassenbegriff nicht vordergründig einführen. Vielmehr würde ich erst einmal auf die unterschiedlichen Interessen der gesellschaftlichen Gruppen hinweisen. Man muß bewußt machen, daß es eine Schicht gibt, die ihr Einkommen in den letzten Jahren um 20, 30 Prozent gesteigert hat – das ist ein kleiner Teil der Gesellschaft. Die große Mehrheit hat aber von dem sogenannten Aufschwung überhaupt nichts.

Ja, natürlich haben wir Klassen, wir haben Klassengegensätze und wir haben Ausbeutung in diesem Land. Das erleben auch immer mehr Menschen, aber wir müssen zusehen, wie wir mit unserer Begrifflichkeit verständlich bleiben, Wir müssen so argumentieren und so reden, daß uns die Leute auch verstehen. Sie dürfen nicht das Gefühl haben, daß wir über ihre Köpfe hinwegreden.

André Brie ist ja nicht von seiner Partei zum »Vordenker« gekürt worden, sondern von der FAZ, vom Spiegel und anderen Massenmedien. Die wollen natürlich, daß seine Positionen die Linkspartei dominieren. Denn dann hätten sie wieder eine Linke, die sie wunderbar gebrauchen können, eine Linke, die das erfüllt, was die SPD in der Vergangenheit gemacht hat. Die SPD hat es in all den rot-grünen Jahren geschafft, den schlimmsten Sozialraub der bundesdeutschen Geschichte durchzupeitschen. Das geht so nicht mehr, sie verliert ja deswegen auch überall. Natürlich wäre es im Sinne der herrschenden Klasse, wieder eine Linke zu haben, die diesen Part übernimmt und genau die gleiche Sauerei legitimiert.

Aber wer sich die neue Linke ohne Vorbehalte anschaut, der muß konstatieren: Das ist nicht die Partei von André Brie. Das ist eine vielfältige Partei, in der solche Positionen in durchaus relevanten Funktionen vertreten werden, in der aber auch sehr vieles dagegen steht. Mit Oskar Lafontaine hat sich die Partei in den letzten Monaten sehr deutlich profiliert, sie hat gesagt: Wir müssen die Systemfrage stellen. Wir haben jetzt die Programmdiskussion eröffnet, in den ersten Sitzungen hat keiner gewagt zu widersprechen, daß das Spezifikum der neuen Linken darin bestehen muß, daß sie eben diese Systemfrage stellt.

Entscheidend muß sein, daß wir gemeinsam darum ringen, daß diese Linke wirklich eine linke Partei wird. Dann hätte sie die unglaubliche Chance, in diesem Lande etwas zu bewegen. Einerseits aktuell politisch: Mindestlohn, Privatisierung – da hat sie jetzt schon ihre Wirkung. Aber was fast noch wichtiger ist, um es wieder in die Köpfe hineinzubringen: Es gibt eine Alternative zu diesem Kapitalismus; diese profitfixierte Ausbeuterordnung ist nicht alternativlos.

Koschmieder: Ist Die Linke die Partei Liebknechts und Luxemburgs?

Wagenkecht: Ich hoffe, daß sie es wird. Die Berliner Senatspolitik ist ganz sicher nicht die von Liebknecht und Luxemburg. Aber das, was in der Bundestagsfraktion läuft – die konsequente Ablehnung von Kriegseinsätzen, von Privatisierungen usw. – das steht durchaus in dieser Tradition. Bei den Mitgliedern der Linken – in Ost wie in West – ist die Tradition von Luxemburg und Liebknecht viel lebendiger als die von Ebert und Noske.

Holz: Ich bewundere den Optimismus, mit dem Sahra nach 18 Jahren Erfahrung in der KPF noch so ungebrochen hoffen kann, aus der Linken eine Partei zu machen, wie sie ihr und mir vorschwebt. Ich denke, daß all die Jahre gezeigt haben, daß die KPF zwar existierte und wahrscheinlich starke Unterstützung aus der Partei hatte, aber doch in den entscheidenden Fragen politischer Aktivitäten sich gegenüber der Parteiführung fast nie durchgesetzt hat. Insofern ist mein Optimismus, was Die Linke angeht, nicht so groß. Dann muß es eben eine Kommunistische Partei geben, die diese Prinzipien auch organisiert.

Ich meine, daß wir auch auf die theoretische Begrifflichkeit nicht verzichten dürfen. Marx und Engels haben nicht umsonst vom ideologischen Klassenkampf, der dritten Säule neben dem politischen und ökonomischen, gesprochen. Das klang heute im Referat des Kollegen von Le Monde diplomatique an. Er sagte, wenn wir die Zerstörung unserer Begrifflichkeit durch die gesteuerte Medienwelt einfach hinnehmen, wenn wir bereit sind, politische Fragen letzten Endes nur noch auf dem Niveau der Bild-Zeitung zu verhandeln, dann haben wir bereits verloren.

Laakmann: Man spricht viel von der Arbeiterklasse, aber die Frage ist wichtiger, wie wir sie erreichen können. Ich habe das in Rheinhausen erlebt, da waren zum Teil bis zu 80000 Menschen auf den Straßen. Der SPD-Politiker Friedhelm Farthmann sprach damals sogar von einer vorrevoutionären Situation in Nordrhein-Westfalen. All die gescheiten Leute mit ihren Thesen – oder auch die DKP –, habe ich damals nie an der Spitze der Bewegung gesehen. Die Arbeiterklasse hat sich damals selber helfen müssen, sie hat um den Erhalt ihres Werkes gekämpft. Es ist jetzt vielleicht ein bißchen spät, die sogenannte Arbeiterklasse noch mal zur Volkshochschule zu schicken, damit sie lupenreine Marxisten werden. Wir wollen diese Republik verändern, wir wollen die Situation für die Menschen in diesem Land verändern und verbessern, wir wollen, daß Kinder eine bessere Ausbildung haben. Wir wollen, daß Leute nicht ausgenutzt werden, weil man sie gerade braucht oder auch nicht brauchen kann. Das alles hat die DKP in der Vergangenheit nicht so auf die Kette gekriegt, auch in diesem Arbeitskampf in Rheinhausen hat sie keine Rolle gespielt.

Bitte hängt die Fahne nicht so hoch, wir sind eine breite Bewegung! Vor zwei Wochen war ich zum 20. Jahrestag dieses Arbeitskampf in Rheinhausen von der DKP Duisburg eingeladen. Das sah nicht so aus, als ob da viel Bewegung ist, obwohl viel Power 'rüberkam. Ich finde es wichtig, daß wir unsere Kräfte bündeln. Wir müssen gemeinsame Wege suchen und nicht immer darauf beharren, was man vielleicht in jahrelangem Bücherlesen gelernt hat.

Bei aller Kritik an den Gewerkschaften sollten wir nicht vergessen, daß sie Grundpfeiler unserer Demokratie sind. Das heißt aber nicht, daß ihre Arbeit nicht dramatisch verbessert werden muß. Ich könnte sie mir radikaler vorstellen und viel mutiger, als sie es im Augenblick sind.

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