Robert Mießner
»Avanti popolo«, die Panzerknacker aus Rom
Foto: Jakob Huber
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Keine fünf Fußminuten vom KadeWe sieht das Zentrum Westberlins so aus,
wie sich der Westen immer den Osten vorgestellt hat. Zumal an
Januarabenden. Das Grau in Grau wird trübe von einer Handvoll Reklamen
beleuchtet. Da tut Farbe dringend not. Zu finden ist sie an diesem
Samstag abend, wo man sie am wenigsten vermutet, hinter der Fassade des
Urania-Gebäudes, das in Belgrad stehen könnte, Ort der
Rosa-Luxemburg-Konferenz. Bekanntlich sind die Feiern dort am besten,
wo den Leuten eigentlich nicht nach Feiern zumute ist.
Am
Anfang freilich möchte man Danbert Nobacon, Mitbegründer von
Chumbawamba und mittlerweile Solokünstler, recht geben. »Die
Kommunisten werden immer älter« (Interview in jW vom 10.Januar).
Zumindest die in seinem Publikum. Es scheinen auch immer weniger zu
werden. Noch mal zur Erinnerung: 1998 ist ausgerechnet Chumbawamba der
Geniestreich geglückt, mit »Tubthumping« einen Top-Ten-Hit zu landen.
Nobacon spielt die ersten Minuten seines Sets vor zwei Dutzend Leuten.
Ein Armutszeugnis für das Berliner Publikum, das ansonsten jeden Morgen
in Hipness zu baden pflegt.
Dabei ist Nobacons Auftritt in
Wohnzimmeratmosphäre der interessanteste, am wenigsten rockistische
Teil dieses Konzertabends. Ein Mann, eine Gitarre, viel Mimik und
Gestik. Er gibt den Kommentator und Komödianten, spielt »That's how
grateful we are«, Chumbawambas Song über den Sturz der Budapester
Stalinstatue 1956, zum Fall gebracht von längst nicht mehr dankbaren
Arbeitern. Nobacons alte und neue Songs beweisen: Akustisch heißt nicht
automatisch Leisetreterei, kann intensiv und überzeugend sein. Danach
ist für die Raucher im Raum erstmal Sporttreiben angesagt. Die Konzerte
finden im dritten Stock der Urania statt, zu erreichen über drei steile
Treppen.
Der Soundtechniker hatte bei Nobacon einen Lenz, schob
gemütlich die Regler hin und her und freute sich seines Jobs. Letzteres
tut er immer noch, als Xikinkei aus dem Baskenland die Bühne betreten.
Nur, jetzt wird er hektisch und verzieht immer wieder das Gesicht.
Xikinkei spielen Hardcore. Den richtig lauten, wütenden, mit
Akrobatikeinlage und Rage-Against-The-Machine-Cover. Diese Musik könnte
auch auf MTV laufen – Betonung auf könnte. Der Konjunktiv
vernachlässigt die Texte, die man gerne verstünde. Schlagartig werden
die Kommunisten jünger und zahlreicher, verwandelt sich das Loft der
Urania in ein Fitneßstudio. Gesetzt den Fall, man dürfte in diesen
unerfreulichen Zurichtungsanstalten Pogo tanzen.
Noch
ausgiebiger und wilder läßt sich das bei Banda Bassotti tun (Interview
in jW vom 11.1.). Mittlerweile ist der Saal randvoll geworden, die Bar
kriegt zu tun. Der Soundman lächelt wieder und fängt an,
Erinnerungsfotos zu schießen. Die Panzerknacker aus Rom sind ein
kleines Ska-Orchester mit Saxophon, Posaune, Trompete und frenetischem
Gesang. Sie machen Party. Eine, bei der man den Kopf nicht am Eingang
abgeben muß. Aber trotzdem feiert. Oder gerade deshalb. »Avanti popolo«
vertreibt den Gram und den Grimm. Nach dem Konzert scheinen die
Leuchtschriften draußen vor der Tür, über der Nacht am Wittenbergplatz,
blasser geworden zu sein. Angenenehmer Effekt. Vielleicht kann man von
innerer Erleuchtung sprechen.