Paul Cockshott - arbeitet an der Universität Glasgow im Bereich für Computerwissenschaft
Ich werde heute darüber sprechen, in welchem
Ausmaß die moderne Computertechnologie die Möglichkeiten verändert hat,
eine sozialistische Planwirtschaft zu organisieren. Mein Referat wird
eine Zusammenfassung von Gedanken sein, die in einem Buch von Allin
Cottrell und mir enthalten sind. Es erschien 1993 unter dem Titel
»Towards a new socialism«, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und ist
jetzt unter dem Titel »Alternativen aus dem Rechner. Für eine
sozialistische Planung und direkte Demokratie« auf deutsch
herausgekommen.
Hayeks Ideen
Die Themen, über die ich sprechen werde,
sind Planung und Computer, Wert und Preis im Sozialismus und Formen der
Bezahlung, der Vergütung von Arbeit im Sozialismus und wie sie durch
moderne Technologie verändert werden. Der historische Hintergrund für
das Buch war der wachsende Einfluß von Ideen in der britischen Labour
Party, wonach die Planwirtschaft auf einem falschen Prinzip beruhe.
Mein Kollege und ich waren der Ansicht, daß diese Auffassungen
grundsätzlich falsch sind, und wir entschlossen uns, ein eigenes Buch
zu schreiben. Wir beziehen uns auf die Arbeiten von Ludwig von Mises
und die von Friedrich August von Hayek aus den 20er und 30er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts. Ihr Einfluß wächst gegenwärtig in der
bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft stark. Man geht sogar davon aus,
daß Hayek aller sozialistischen Ökonomie den Todesstoß versetzt hat.
Margaret Thatcher hat seine Prinzipien als erste umgesetzt, nach 1990
wurden sie in Osteuropa verwirklicht. In der Geschichte der
Wirtschaftswissenschaften hat aber wahrscheinlich noch nie eine Theorie
derart versagt wie die Hayeks in Rußland nach 1990. Noch nie kam es in
Friedenszeiten zu einem solchen Zusammenbruch der Industrieproduktion.
Nie zuvor ist in einem Land eine derartige demographische Veränderung
eingetreten wie durch die Anwendung der Ideen von Hayek. In der
Sowjetunion lebten etwa 140 Millionen Menschen, von denen im
Durchschnitt jährlich etwa 1,4 Millionen Menschen starben. Nach der
Einführung der Ideen Hayeks ist die Todesrate um zirka eine halbe
Million Menschen pro Jahr angewachsen. Das waren bis 2001 ungefähr
fünfeinhalb Millionen Menschen, über die man sagen kann, daß sie
wahrscheinlich noch leben würden, wären Hayeks Grundsätze nicht
umgesetzt worden. Ich kann kein Beispiel finden, das überzeugender
wäre.
Hayek und Mises nannten drei Gründe, warum Sozialismus
nicht funktionieren kann: Zum einen fehle es an einem Maß für die
Effektivität der Wirtschaft; zum zweiten sei die Komplexität der
Wirtschaft so groß, daß man Millionen Gleichungen lösen müsse, um die
Wirtschaft ordentlich planen zu können, was nicht möglich sei; zum
dritten meinten sie, die Möglichkeit, tatsächliches Wissen über die
Wirtschaft zu erlangen und diese öffentlich zu machen, sei im
Sozialismus nicht gewährleistet.
Kosten und Arbeitswerte
Ich werde mich mit diesen
Argumenten befassen und zeigen, daß sie nicht mehr zutreffen, falls sie
jemals zutreffend waren. Mises erklärte, daß eine Methode nötig sei, um
Kosten bestimmen zu können und um zwischen verschiedenen
Herstellungsverfahren unterscheiden zu können. Wenn zwischen zwei
unterschiedlichen Produktionsverfahren zu wählen ist, so legte er dar,
muß man entscheiden können, welches von beiden für die Gesellschaft
besser ist, welches z. B. mehr Abfall erzeugt. Wer Abfall nicht
vermeidet, sammelt immer mehr an. (...)
Es gibt eine
marxistische Antwort darauf, wenn man auf das zurückgeht, was Marx und
Engels im Hinblick auf die Festlegung der Kosten durch die Arbeitswerte
gesagt haben. Mises hat argumentiert, daß es zwei Gründe gibt, weshalb
man die Arbeitswerte nicht verwenden kann: Erstens wisse niemand, was
die Arbeitswerte sind. Es sei unmöglich, diese Arbeitswerte zu
berechnen, weil es zu kompliziert sei. Zweitens: Was Marx die
Reduzierung der Komplexität der Arbeit nannte, den Vergleich und die
Berechenbarkeit unterschiedlicher Arbeitsformen, sei nicht in die
Praxis umsetzbar.
Mises hatte recht, wenn er meinte, daß es
notwendig sei, in einer Ökonomie Millionen von Gleichungen zu lösen, um
exakt die Arbeitswerte eines Produkts zu bestimmen. Aber bereits in den
60er Jahren schrieb der polnische Wirtschaftswissenschaftler Oskar
Lange, daß sich die Situation geändert habe, als die Computer auf die
Bühne traten. Lange hatte schon in den 30ern vorhergesagt, daß das
Problem rechnerisch gelöst werden kann.
Ich möchte ein
einfaches Beispiel aus der Computerwissenschaft geben. Wenn jemand dem
Telefonbuch von Berlin eine acht- oder neunstellige Telefonnummer
entnimmt und mir die Aufgabe stellt, herauszufinden, wem diese Nummer
gehört, dann ist das prinzipiell möglich, wenn er das Telefonbuch hat.
Ich kann alle Namen durchlesen, mit der Nummer vergleichen und die
Person herausfinden. Das dauert wahrscheinlich ein oder zwei Wochen.
Wenn mir andererseits der Name gegeben wird und ich die Nummer
herausfinden soll, dann benötige ich dafür vielleicht 30 Sekunden. Die
Informationen sind alphabetisch geordnet, so daß wir hier schnelleren
Zugriff haben. In der Computerwissenschaft stellt man oft fest, daß ein
Problem, das auf einer Ebene unlösbar ist, auf einer anderen Ebene
relativ einfach lösbar wird.
Hayek und Mises haben das
Problem der Arbeitswerte auf die naivste Art und Weise betrachtet. Sie
schauten sich nicht an, wie man modernere mathematische Methoden
anwenden kann. (...)
Demokratische Planung
Die Grundlage für die Bearbeitung
solcher Probleme durch den Computer ist die sogenannte
Input-Output-Tabelle. Die Input-Output-Tabelle für eine Wirtschaft
zeigt, wieviel von einem Produkt verwendet wird, um den End-Output zu
erreichen. Diese Berechnung läßt sich für die Planung verwenden, um
festzustellen, wieviel Arbeit in jeder Ware steckt. (...) Mit der
Verwendung dieser Methode erreicht man eine ganz andere
Komplexitätsordnung. Die Zeit, die für komplizierte wirtschaftliche
Berechnungen erforderlich ist, reduziert sich von 10 000 Jahren auf
etwa sechs Sekunden, das heißt, das Ganze läßt sich durch moderne
Technik enorm reduzieren. Man kann die Kalkulation mit Hilfe von
Supercomputern heute in Echtzeit machen. Es dauert nicht mehr Tausende
Jahre, es würde nicht mal mehr Monate dauern, und es ist viel einfacher
als zum Beispiel die Berechnung von Wettervorhersagen. Bei
Wettervorhersagen sind weitaus mehr Rechenschritte erforderlich.
In
unserem Buch gehen wir davon aus, daß Supercomputer die Planung
durchführen und es einen Echtzeit-Feedback-Mechanismus gibt. Dieser
Mechanismus beruht auf zwei Quellen: Auf der einen Ebene sind das die
Echtzeitdaten darüber, was z. B. tatsächlich in den Geschäften verkauft
wird. Alles, was heute aus einem Supermarkt herausgeht, wird über den
Barcode eingescannt. Wir verfügen über Computer, die diese Daten auf
die Planungscomputer übertragen können, so daß wir einen Echtzeit-Input
darüber haben können, was wirklich verkauft wurde.
Zugleich
gibt es viele Güter, die nicht als Waren verkauft werden. Über ihre
Verteilung müssen demokratische Entscheidungen getroffen werden. Die
Verbindung beider Mechanismen würde es einer Wirtschaft gestatten,
sehr schnell zu reagieren.
Wertbasierte Wirtschaft
Nun zur wertbasierten Wirtschaft,
über die Heinz Dieterich bereits gesprochen hat. Diese Konzepte gehen
zurück auf die Frühphasen der sozialistischen Bewegung, z. B. auf
Robert Owens Experiment in New Lanark in den ersten Jahrzehnten des 19.
Jahrhunderts. Owen schlug vor, daß die Menschen nicht mit Geld bezahlt
werden, sondern mit Arbeitschips. Es sollte zum Beispiel eine
Gutschrift im Arbeitskonto für eine Stunde geben, die für Waren
ausgegeben werden konnte, die in einer Stunde produziert werden. Marx
hat das von Owen übernommen und es in der »Kritik des Gothaer
Programms« beschrieben. Marx erklärte aber, daß die Konzepte von Owen
nur dann wirklich realisierbar sind, wenn das Privateigentum an den
Produktionsmitteln durch eine direkte Sozialisierung ersetzt wird. Sie
sei nicht machbar, wenn man solche Chips als Geldersatz hätte. Marx
meinte, daß diese Arbeitsscheine kein Geld seien, ebenso wie ein
Theaterticket kein Geld ist. Denn sie zirkulierten nicht als Kapital.
Hatte man solche Scheine gegen Waren getauscht, wurden sie wertlos
gemacht. Das läßt sich heute mit elektronischen Konten weitaus
einfacher erreichen. Man benötigt nicht mehr solche physischen Chips.
(...) Wir schlagen vor, daß die Menschen den vollen Wert ihrer Arbeit
erhalten, wobei, wie Marx erläuterte, etwas für Steuern und
Versicherungen abgezogen werden muß. Das sollte aber nicht mehr
versteckt erfolgen, sondern die Abgaben sollten auf der Grundlage einer
Abstimmung in der Bevölkerung explizit einberechnet werden. An diesem
Punkt ist die Mehrwertproduktion nicht mehr Ausbeutung, sondern eine
freiwillige Entscheidung, sie bedeutet: Wie viele Stunden am Tag gibt
man freiwillig der gesamten Gesellschaft?
Bürgerliche
Ökonomen behaupten, daß die Arbeitswerte ein naturalistisches Phänomen
seien. Man könne die Werte auch auf der Grundlage von Öl oder Energie
bewerten. Marxistische Ökonomen haben in den letzten 15 Jahren
bewiesen, daß das falsch ist. In einer kapitalistischen Wirtschaft gibt
es eine sehr enge Beziehung zwischen den tatsächlichen Preisen und den
Arbeitswerten. Es wurde gezeigt, daß z. B. die Preise für Waren in den
USA im Rahmen ihrer Arbeitswerte liegen. Ähnliche Untersuchungen wurden
von anderen Wissenschaftlern in vielen verschiedenen Ländern
durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß Preise und Arbeitswerte zu
mehr als 95 Prozent übereinstimmten. Das heißt, was die Preise
aussagen, ist dasselbe, was die Arbeitswerte aussagen, nur nicht so
genau. Werden die Arbeitswerte direkt per Computer berechnet, hat die
Gesellschaft einen besseren Überblick über die Kosten. Im heutigen
Kapitalismus sind die Kosten, die die Bezahlung bestimmen, nur
teilweise eine Widerspiegelung der wirklichen Kosten. Das heißt, jedes
kapitalistische Unternehmen unterschätzt systematisch die wirklichen
Arbeitskosten, und je niedriger die Löhne, desto größer diese
Unterschätzung. Das führt zu einer massiven Verschwendung der Arbeit.
Denn je niedriger die Löhne, desto schlechter die Arbeitsbedingungen,
je höher die Löhne, desto größer die Anreize, moderne Technik
einzusetzen. Soll eine vollständige Berechnung der Arbeitswerte
erreicht werden, gibt es mehr Anreize für die Unternehmen, moderne
Technik einzusetzen. Eines der großen Probleme in der Sowjetunion war,
daß die Betriebe keine Anreize hatten, um wirklich effizient zu
arbeiten.
Kosten der Gesellschaft
Zum nächsten Einwand: Wie
reduziert man komplexe Arbeit auf ein einfacheres Niveau? Betrachten
wir die Arbeit eines Flugzeugpiloten: Wieviel kostet sie die
Gesellschaft? Da sind die Arbeitszeit des Piloten, die Zeit für seine
Ausbildung, die Zeit der Ausbilder einschließlich Treibstoff etc. All
das kann berechnet werden. Man kann prinzipiell bestimmen, wieviel
zusätzliche Arbeit für den Job eines Piloten oder eines Busfahrers
nötig ist. Aber hinter dem technischen Argument der bürgerlichen
Ökonomen steht auch ein Klassenvorurteil: Wie kann die Arbeit eines
Professors mit der Arbeit eines Busfahrers verglichen werden? Das
bedeutet: Es geht nicht darum, wieviel es kostet, sondern darum,
wieviel ich bekomme. Hinter diesem Einwand steht der Glaube, daß
Professoren einen höheren Lohnanspruch haben als Busfahrer. Wir sagen
nun, daß man zunächst separat betrachten muß, wieviel es die
Gesellschaft kostet, jemanden auszubilden. Denn die Ausbildungskosten
werden in einer sozialistischen Wirtschaft von der Gesellschaft
getragen. (...)
Zum letzten Punkt des Einwands von Hayek
gegenüber dem Sozialismus. Hier muß man die philosophische Grundlage
der österreichischen ökonomischen Schule verstehen. Sie sind der
Meinung, daß die Information im menschlichen Gehirn und im menschlichen
Bewußtsein existiert. Hayek behauptet: Eine Wirtschaft beruht auf
subjektiven Informationen, die nur im Gehirn der Menschen existieren.
Der Markt muß diese Daten aus den Köpfen holen und in Form von Preisen
ausdrücken. Hayek meint z. B., niemand könne genau festlegen, wo etwas
aus einem Hafen hinversandt werden soll. Das könne nur der
Verantwortliche machen, der genau weiß, welche Schiffe in einen Hafen
kommen und was weggeht.
Ein sehr schlechtes Beispiel. Denn
gerade der Transportsektor war der erste Sektor, der die
Computerplanung einführte. Ein aktuelles Beispiel ist die Information,
die erforderlich ist, um einen Airbus zu bauen. Diese Information
existiert nicht in der Wirtschaft allgemein, sondern nur in der
Luftfahrtindustrie. Andererseits gibt es aber niemanden, keine
Einzelperson, die genau weiß, wie man einen Airbus baut. Die
Information für den Bau solch komplexer Produkte gibt es nur im
Computer. Kein großes Industrieprodukt kann heute produziert werden
ohne objektivierte Information. Die Information ist einfach zu komplex,
als daß sie von einzelnen gehandhabt werden kann.
Objektivierte Information ist also die Art, in der alle modernen Produktionen durchgeführt werden.
Grundlage gelegt
Ich werde jetzt auf ein paar Dinge
eingehen, die von Heinz Dieterich angesprochen wurden. In der heutigen
Wirtschaft werden Steuern durch zentrale Regulierungen in Geld
festgelegt. Die Bürger haben in der Regel kein Mitspracherecht. 1986
beschloß Margaret Thatcher, eine neue Steuer zu erheben, die sogenannte
Kopfsteuer. Sie befragte die Menschen nicht, deshalb gab es z. B. in
Schottland eine Kampagne, keine Steuern zu bezahlen. Die Kampagne war
sehr erfolgreich. Nach etwa zwei Jahren hatten wir 25 Prozent der
Bevölkerung so weit gebracht, daß sie keine Steuern bezahlten. In
Glasgow waren es mehr als die Hälfte. Letztlich haben diese Aktivitäten
und was dann folgte die Thatcher-Regierung gestürzt.
Aber
Steuern sind nicht das Problem. Ich sagte ja schon: Die Menschen
sollten gefragt werden, wieviel Stunden sie der Gesellschaft widmen
wollen. (...) Die Technologie für solche Abstimmungen existiert bereits
in Form des Handys. Die Menschen können durch eine einfache SMS
abstimmen. Das System der kapitalistischen Kommunikation über das
Internet und die Mobiltelefone hat die Grundlagen gelegt für diese Art
der Demokratie. (...)
Literaturhinweis:
W. Paul
Cockshott/Allin Cottrell: Alternativen aus dem Rechner. Für
sozialistische Planung und direkte Demokratie. Übersetzt und
herausgegeben von Helmut Dunkhase. Papy Rossa Verlag, 280 S., 19,90
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