Patrik Köbele
»Der Feind steht links!« lautet das Motto der Podiumsdiskussion auf
der von jW veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag in Berlin.
Dort soll über die Verstrickungen von Polizei, Geheimdiensten und dem
neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund«
(NSU) diskutiert werden. Die Konsequenz des Staates besteht in einer
Zentralisierung von Geheimdiensten und Polizei – ausdrücklich auch gegen
»Linksextremismus«. Wohin entwickelt sich der bundesdeutsche Staat? Was
bedeuten diese Vorgänge für die politische Linke? Podiumsteilnehmer
Patrik Köbele ist stellvertretender Vorsitzender der DKP. Bereits
erschienen sind in junge Welt Beiträg der Mitdiskutanten Bodo Ramelow (9. Januar), Gabriele Heinecke (8. Januar) und Susann Witt-Stahl (21. Dezember).
Die Rolle des Staates, der Staatsorgane ist keineswegs die eines
Neutrums. Alle Illusionen sind hier schädlich. Der Skandal des Umgangs
von Polizei und Geheimdiensten mit der neofaschistischen
Terrororganisation »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) steht in
einer historischen Kontinuität. Sie beginnt für die BRD mit dem
Rückgriff auf Faschisten beim Aufbau der staatlichen Repressionsorgane
und der Bundeswehr. Deren Blutspur setzt sich fort über den Umgang mit
faschistischen Organisationen und deren Gewalttaten. Ein oftmals auch
bei Linken vergessenes Beispiel stellt hier die Vertuschungspolitik zum
Beispiel des Attentats auf das Münchner Oktoberfest 1980 oder bezüglich
der reaktionärfaschistischen NATO-Geheimtruppe »Gladio« dar.
Permanenter Widerspruch
Diese historische Kontinuität ergibt sich nicht aus dem »falschen«
Handeln einzelner Personen, sie ergibt sich aus der Klassenlage, gerade
weil der bürgerliche Staat eine Form der Herrschaftsausübung des
Kapitals, eine Form des Kapitalismus darstellt und die Faschisten und
ihre Ideologie eine Form der Stabilisierung dieser Machtverhältnisse
sind. Das gilt auch in bürgerlich-demokratischen Phasen, in denen sie
zur Spaltung, als Druckmittel und als »ultima ratio« dienen, wenn die
Stabilität der Herrschaftsverhältnisse gefährdet sein sollte.
Trotzdem stellt der bürgerliche Staat einen permanenten Widerspruch
dar. Einerseits hat er seinen Klassenauftrag, und andererseits versucht
er zu vermitteln, daß er quasi »neutral« über diesem Auftrag steht. Und
es gibt Institutionen und Personen, die für diesen Spagat stehen, manche
meinen es sogar ehrlich und handeln entsprechend. Deshalb ist es gut
und wichtig, an diesem Widerspruch anzusetzen.
Es ist deshalb
richtig, Forderungen nach staatlichen Aktivitäten gegen Neonazis und
ihre Strukturen zu erheben. Es ist notwendig, darum zu kämpfen, daß
dieser Staat die von ihm abgetrotzte Aktivität gegen »rechts« nicht für
die Repression gegen alles fortschrittliche, gegen Linke nutzt. Es ist
gut, daß es dafür unter Linken, aber durchaus bis ins bürgerliche Lager,
einen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten gibt. Dieser muß so breit wie
eben möglich für das gemeinsame Handeln genutzt werden. Vor allem in
einer Zeit, in der die Militarisierung Deutschlands und die Angriffe auf
die demokratischen Rechte eher darauf hindeuten, daß sich die
Herrschenden auf Phasen einstellen, in denen sie sich autoritärerer
Formen der Herrschaftsausübung bedienen werden.
Strategische Debatte
Weil aber Illusionen schaden, muß das gemeinsame Handeln um eine
strategische Debatte ergänzt werden. Dazu ein paar Gedanken: Der Kampf
gegen Neonazismus ist notwendig. Er muß sich gegen alle Bestandteile
richten mit denen Neonazis versuchen, sich und ihre Ideologie zu
verankern. Das reicht vom Kampf um ein NPD-Verbot, über den Kampf gegen
den Rassismus, der mittlerweile auch tief im bürgerlichen Lager
verankert ist, bis zum Kampf gegen die soziale Demagogie der Neonazis.
Das verlangt zu verdeutlichen, daß Nazis niemals die Interessen der
Ausgebeuteten und Ausgegrenzten vertreten können, da sie immer auf
Spaltung setzen (heute in Deutsche und Migranten, früher in Arier und
Juden) und immer die Ausbeutungsverhältnisse vernebeln (»schaffendes und
raffendes Kapital«, »internationales und nationales Kapital«).
Wer vom Faschismus redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen.
Diese Aussage kann nicht die Anforderung an den Grundkonsens
antifaschistischer Bündnisse darstellen, ist aber unverzichtbare
inhaltliche Grundlage für die Arbeit linker Kräfte. Hier sei ein kleiner
Einschub erlaubt: Natürlich steht auch der sozialistische Staat nicht
neutral über den Dingen. Aus meiner Sicht ist es deshalb ein
Armutszeugnis, wenn von Teilen der Linkkräfte in den Tenor der
Verurteilung des »verordneten Antifaschismus« der DDR eingestimmt wird.
Dieser war viel mehr eine große historische Errungenschaft. Dies
anzuerkennen ist eine Voraussetzung für eine Debatte, ob seine Umsetzung
immer fehlerfrei war.
Keine Illusionen in die bürgerliche
Demokratie zu haben darf dabei keineswegs ihre Geringschätzung bedeuten.
Die bürgerliche Demokratie ist sicherlich die Form der
Herrschaftsausübung des Kapitalismus, die die größten Spielräume (auch)
für linke Politik bietet, sie ist deshalb gegen alle Formen des
Demokratieabbaus, gegen alle Tendenzen der autoritäreren Machtausübung,
gegen die permanente Tendenz, auf dem rechten Auge blind zu sein, zu
verteidigen. Falsch wäre aber auch, zu übersehen, daß die gesamte
Geschichte der BRD, des Grundgesetzes der BRD und des Umgangs mit
faschistischen Kräften von der Grundtendenz (kurze gegenläufige Phasen
stellen hier die Ausnahme von der Regel dar) eher für den Abbau von
Fortschritt, Demokratie und Antifaschismus stehen. Dies wurde dramatisch
verstärkt, als sich das internationale Kräfteverhältnis durch die
Konterrevolution in den sozialistischen Staaten Europas massiv
verschlechterte.
Eine besondere Form des ideologischen
Klassenkampfes der Herrschenden, die massiv die Fragen der Arbeit von
Linkskräften tangiert, stellt dabei die sogenannte »Extremismustheorie«
dar. Sie dient dazu, ausgehend von einer suggerierten Neutralität den
Schlag gegen links zu führen. Sie dient dazu, selbst dann, wenn dem
bürgerlichen Staat zum Beispiel durch antifaschistische Aktivitäten ein
gewisses Handeln gegen rechts abgetrotzt wird, dies sofort in eine Waffe
gegen die Linkskräfte umzuwandeln. Sie widerspricht damit grundsätzlich
einem wirklichen Antifaschismus. Hier dürfen die Linkskräfte, die
antifaschistische Bewegung keinerlei Zugeständnisse machen. Dies gilt
selbstverständlich nicht nur für die Gegenwart, sondern auch im
Rückblick auf die Geschichte. Jeder Versuch der Gleichsetzung von Hitler
und Stalin – um es vereinfacht an Personen festzumachen –, jede
Relativierung der Leistungen der Sowjetunion bei der Befreiung vom
Faschismus, dient nicht nur der Stabilisierung des Antikommunismus,
sondern soll auch den Antifaschismus und die Linkskräfte sturmreif
schießen.
Internationalismus
Die
Veränderung des internationalen Kräfteverhältnis im Gefolge der
Konterrevolution in den europäischen sozialistischen Staaten ließ auch
zu, daß sich der deutsche Imperialismus seiner Beschränkungen
hinsichtlich des militärischen Eingreifens entledigte. Ausgerechnet der
SPD-Mann Peter Struck sprach die neue Leitlinie des deutschen
Imperialismus aus: »Deutschlands Freiheit wird auch am Hindukusch
verteidigt.« Ausgerechnet der Grüne Joseph Fischer steht für die
Instrumentalisierung von antifaschistischem Bewußtsein für die
Wiedereröffnung der militärischen Option für den deutschen
Imperialismus: Mit der Maxime »Ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie
wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder
Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen« hatte er die deutsche
Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 legitimiert. Die
Schwäche der Gegenbewegung gegen die zunehmende militärische Präsenz des
deutschen Imperialismus im globalen Maßstab ist ein Beleg für einen
zunehmenden Militarismus. Die Schläge nach links richten sich heute
stark gegen Kräfte, die die Militarisierung der Gesellschaft angreifen.
Der Kampf gegen Kriegspolitik muß dringend intensiviert werden. Seine
Unterschätzung kann für die Linkskräfte überlebensbedrohend sein.
Ein Nährboden für Militarismus und faschistisches Gedankengut stellt
der mangelnde Internationalismus dar. Er äußert sich aktuell in solchen
Stammtischparolen wie, »wir zahlen für die Griechen und Portugiesen«.
Eine Ursache dieses Mangels stellt das innerhalb der Arbeiterbewegung
weit verbreitete Standortdenken dar. Neben der Debatte über
Antifaschismus und Antimilitarismus, die dringend einer Intensivierung
vor allem auch innerhalb der Gewerkschaften bedarf, braucht es ein
Zurückdrängen dieses Standortdenkens auf allen Ebenen – im Betrieb, in
der Branche, national und international. Dies erfordert auch, daß eine
konsequente Politik der Vertretung der Interessen der Arbeiterklasse
eine Reduktion auf Teile der Arbeiterklasse (Stammbelegschaften)
ausschließt und auch die Teile umfassen muß, die ganz oder teilweise
ausgegrenzt sind.
BU: Demonstration in Berlin ein Jahr nach
dem offiziellen Bekanntwerden der neofaschistischen Terrorgruppe NSU (4.
November 2012)
Analyse & Fest: RLK 2013
Die Rosa-Luxemburg-Konferenz verbindet politische Analyse, ein
interessantes Kulturangebot sowie die Möglichkeit, sich mit Freunden
auszutauschen – auf drei Ebenen in der Berliner Urania. Im Humboldtsaal
finden alle Vorträge und die Podiumsdiskussion statt. In den Foyers
bieten 57 Gruppen und Initiativen Bücher und Informationen an. Im
Cafébereich kann man sich zu einer Tasse Kaffee oder zum Essen
verabreden. Hinzu kommt in diesem Jahr erstmals eine Kinderbetreuung von
12 bis 17 Uhr.
Es lohnt sich, schon ab 10 Uhr in die Urania
zu kommen. Noch gibt es Platz, ab 10.30 toben Shmaltz durch die drei
Ebenen und führen dann die Besucher in den Humboldtsaal. Ihre
faszinierenden Klezmer-Balkan-Beats werden erst wieder abends zu hören
sein: Nach der Podiumsdiskussion darf getanzt werden, Cuba Si erfrischt
mit Moijitos. Eröffnen wird die Konferenz pünktlich um 11 Uhr von Carlos
Insunza Rojas vom chilenischen Gewerkschaftsdachverband CUT. Ramón
Chao, Schriftsteller aus Frankreich, wird erklären, warum das Werk Don
Quichotte als der erste marxistische Roman der Geschichte bezeichnet
werden darf. Die Organisatoren der Konferenz, zunächst sehr skeptisch,
kennen das Redemanuskript und sind begeistert. Fehlen wird der Soziologe
Jean Ziegler, der kurzfristig aus persönlichen Gründen absagen mußte.
Über alle Referenten und Teilnehmer der Podiumsdiskussion informiert Sie
die Anzeige auf Seite 9.
Kultur ist auf der Konferenz eine
feste Größe. Der Liedermacher Jan Degenhardt präsentiert in Begleitung
von Christian Renz und Carlos Ramos Diaz die großartige CD zu Ehren von
Franz Josef Degenhardt. Die Schauspielerin Gina Pietsch liest aus dem
Kommunistischen Manifest.
In Kooperation mit
junge Welt gibt
der Hamburger Laika-Verlag die »Bibliothek des Widerstands« heraus. In
diesem Jahr wird in der Urania das Mediabook »Häuser- und Mieterkämpfe –
wem gehört die Stadt« vorgestellt – von den Verlegern Willi Bär und
Karl-Heinz Dellwo sowie den Autoren Simone Borgstedt und Andrej Holm.
Während der Konferenz zeigt das Festival Musik & Politik eine
Ausstellung zur Geschichte revolutionäre Lieder und verschiedene
Antifagruppen Bilder und Kurzbiografien von politischen Gefangenen.
Das komplette Programm mit Zeitleiste finden Sie in der Wochenendausgabe der jungen Welt. (jW)