Interview: Gerd Schumann
Foto: AP
|
Über
sein Reiseverbot und wie er trotzdem auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
auftreten will, über die Autobombe am Madrider Flughafen und drohende
Repression im Baskenland.
Der Diplomphilosoph Arnaldo Otegi, geboren 1958, ist Sprecher der
seit 2003 in Spanien verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna
(Einheit) und führender Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung des
Baskenlandes; langjähriges Mitglied des Autonomieparlaments in drei
baskischen Provinzen; ehemaliges Mitglied der Untergrundorganisation
ETA, politischer Flüchtling in Frankreich, nach Auslieferung durch
Paris 1987 in Madrid verurteilt zu sechs Jahren Gefängnis wegen
angeblicher Beteiligung an einer Entführung. Seit 2006 ist er Mitglied
der Batasuna-Verhandlungskommission im baskisch-spanischen
Friedensprozeß. Otegi ist eingeladen zur Rosa-Luxemburg-Konferenz am
13. Januar in Berlin.
Danke zunächst, daß Sie der Einladung von junge Welt und Cuba
Si zur Rosa-Luxemburg-Konferenz folgen wollen. Allerdings gab und gibt
es bekannterweise einen kleinen Haken für Ihre Teilnahme: Sie mußten
beim Obersten Gerichtshof (Audienca Nacional) in Madrid eine
Genehmigung für Ihre Reise nach Berlin einholen. Was macht Sie so
gefährlich für den spanischen Staat?
Offiziell laufen
noch einige Verfahren gegen mich, unter anderem wegen »Beleidigung des
Königs«. Sie stammen aus der Regierungszeit des erzkonservativen
Premierministers José Maria Aznar – und damit aus jener Periode, in der
sich George W. Bush und sein spanischer Freund Aznar aufmachten, den
»internationalen Terrorismus« zu bekämpfen. Zu dem zählten sie auch
uns. Gefährlich sind wir aber vor allem, weil wir ein Konzept
erarbeitet haben, wie der politische Konflikt im Baskenland politisch
gelöst werden kann. Und: Wir bieten eine Alternative für eine
zukünftige, soziale Gesellschaft an. Bekannt ist, daß derjenige, der so
etwas tut, den Herrschenden generell ein Dorn im Auge ist – und also
eine Gefahr darstellt.
Wie hat das Gericht auf Ihr Begehren reagiert, vom 12. bis
14. Januar in die deutsche Hauptstadt zu fliegen, um dort über eben
jenes alternative Konzept für ein anderes Gesellschaftskonzept zu
referieren?
Mein Reiseantrag wurde von der Audienca
Nacional definitiv abgelehnt. Trotzdem arbeiten wir an einer
Möglichkeit, damit ich in Berlin doch noch zu Wort komme.
Ihr Auftritt am 13. Januar steht weiter auf der Tagesordnung. Der Zeitraum zwischen 15 und 16 Uhr bleibt für Sie reserviert.
Natürlich würde ich äußerst gern an der prestigereichen, revolutionären
Rosa-Luxemburg-Konferenz teilnehmen, aber derzeit sieht es tatsächlich
so aus, als wenn es nicht geht. Leider hat sich wieder einmal
herausgestellt, daß das so oft proklamierte »Europa der freien Reise«,
das grenzenlose Europa, nicht für alle gilt. Trotzdem werde ich mich in
irgendeiner Form einbringen.
Welches sind die Themen, die Sie behandeln wollen?
Es geht zum einen um unser politisches Projekt. Dieses handelt im Kern
von einem unabhängigen, fortschrittlichen Baskenland und ist ein
Kann-Projekt. Das heißt, daß es das nur geben wird, wenn es die Leute
wollen. Insofern treten wir für das vielzitierte »Europa der Urnen«
ein, in dem alles abstimmbar ist. Auch die baskische Bevölkerung soll
in allen Bereichen, in denen sie lebt, darüber entscheiden können,
welches Projekt sie sich in Zukunft wünscht. Kurz: Es geht um das Recht
auf Selbstbestimmung. Das wird ihr derzeit verwehrt. Dabei ist uns
klar, daß letztlich eine linke Alternative für unser Land von linken
Alternativen für Europa nicht zu trennen ist – das zweite Thema meines
Referats. Mit großem Interesse beobachten wir derzeit die Entwicklungen
in Lateinamerika, wo sich die linken Kräfte im Aufwind befinden. Das
kann auch für uns in Europa ein Ansporn sein. Wir können davon lernen.
Wenn
sich Marxisten unterschiedlicher Richtungen auf Foren wie der
Rosa-Luxemburg-Konferenz treffen, geht es sicherlich darum, gemeinsam
darüber nachzudenken und eine Strategie zu planen, wie ihre
Vorstellungen letztlich realisierbar sind. Also: Wie können wir den
Sozialismus in Europa auf die Tagesordnung bringen?
Wie wollen Sie Ihr Referat auf der Konferenz einbringen, wenn Sie nicht persönlich anwesend sein dürfen?
Denkbar wäre eine Videoschaltung vom Baskenland nach Berlin. Und wenn
die staatliche Repression auch dieses nicht zuläßt, dann schicke ich
einen Brief aus dem Knast.
Es scheint, als würde die staatliche Repression gegen die
Linke im Baskenland nach dem fatalen Autobombenanschlag, der den
Madrider Flughafen Barajas am 30. Dezember erschütterte, wieder
zunehmen. Der baskisch-spanische Friedensprozeß befindet sich in der
Krise und droht zu scheitern. Trotzdem meinten Sie jüngst, der sei
»nicht kaputt«. Was bewegte Sie zu dieser Hoffnung?
Der
Friedensprozeß steckt zweifelsohne in einer enormen Krise. Nunmehr geht
alles darum, dessen momentane strukturelle Blockierung zu durchbrechen.
Wir sind davon überzeugt, daß es zu einer politischen Lösung des weiter
bestehenden Konfliktes keine Alternative gibt. Jeder andere als der
politische Weg ist auf Sand gebaut. Wir müssen nun in dieser
komplizierten Lage versuchen, die Fahne der Verständigung hochzuhalten.
Das heißt für uns, mit allen Seiten und mit allen Leuten zu besprechen,
wie wir aus der Krise herauskommen. Eine politische Dialoglösung ist
unverzichtbar. Es kann allerdings nicht angehen, daß immer von einer
»politischen Lösung« des Konflikts gesprochen wird, aber eine der
beteiligten politischen Parteien unter undemokratischen Verhältnissen
arbeiten muß und von der demokratischen Arbeit ausgeschlossen wird.
Sie meinen damit das – trotz Verhandlungen mit deren Vertretern – weiter existierende Verbot von Batasuna?
Ja. Das paßt nicht zusammen.
Sie selbst haben 2004 vor 15000 Menschen im Velodrom von
Donostia (San Sebastian) die aufsehenerregende Initiative für eine
Lösung des damals verfahrenen baskisch-spanischen Konflikts präsentiert
– weg von der bewaffneten hin zur politischen Auseinandersetzung durch
Initiierung eines Dialogs zwischen Madrid und ETA einerseits sowie
eines parallelen Prozesses aller politischen Kräfte auf Ebene des
gesamten Baskenlandes. Am 22. März 2006 begann dann auf Grundlage
dieser Idee mit dem ETA-Waffenstillstand der eigentliche
Friedensprozeß. Dieser scheint nun nach nur neun Monaten beendet. Und
inzwischen existieren zumindest Zweifel an dessen grundsätzlicher
Substanz. Wie ist er verlaufen?
Zu Beginn des
Prozesses gab es zunächst eine Phase, in der Bedingungen diskutiert
wurden, wie er insgesamt ablaufen könnte. Dafür wurden monatelang
Gespräche geführt – auch mit dem Staat. Das kann man nicht so abtun,
als wenn nichts gewesen wäre. In dieser Phase wurden einige Eckpunkte
festgelegt, die unabdingbar waren, damit sich der Prozeß überhaupt
entwickeln konnte. Nur leider wurden diese Verbindlichkeiten dann
zunehmend von staatlicher Seite nicht eingehalten.
Was meinen Sie konkret?
Zum Beispiel die
erwähnte Abmachung, demokratische Verhältnisse zu schaffen und für eine
gleichberechtigte Teilnahme aller Beteiligten zu sorgen. Statt dessen
versuchte die Regierungsseite, den Prozeß für Frieden und eine
politische Normalisierung rein technisch zu behandeln und die
politische Dimension auszuklammern. Das führte letztlich von der seit
Monaten existenten kleineren Krise zur jetzigen schweren Krise. Wir
befinden uns heute in einer Situation der Verunsicherung. Trotzdem
bleibt eine politische Lösung möglich und unbedingt nötig. Zwingende
Voraussetzung hierfür ist die Abwesenheit jeglicher Gewalt. Sie kann
nur in einem Umfeld diskutiert werden, das gewaltlos ist. Durch eine
Wiederbelebung der Gespräche kann der politische Prozeß wiederbelebt
werden. Darum ringen wir.
Trotz dieses Anspruchs und obwohl Sie den Attentatsopfern
und Angehörigen Ihr Mitgefühl ausgesprochen haben, wächst insbesondere
der Druck auf die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung. Drohen nun
härtere Zeiten als vor Beginn des Friedensprozesses?
Die Gefahr, daß repressive Mittel ergriffen werden, ist real, und damit
auch, daß wir Opfer von staatlicher Gewalt werden. Ein derartiges
Vorgehen wäre allerdings nichts anderes die Neuauflage eines alten
Konzepts, das nie gewirkt hat und auch diesmal nicht wirken wird. Die
PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei) weiß, daß der Konflikt nicht mit
dem Mittel der Unterdrückung zu lösen ist. Damit sorgt sie lediglich
für Auftrieb bei den frankistischen und faschistischen Kräften im
spanischen Staat, stärkt diese und gefährdet die sozialdemokratische
Linie selbst. Die PSOE kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn sie
versucht, den Konflikt politisch zu lösen. Unsere Aufgabe ist es, so
schnell wie möglich wieder den Kontakt mit den Sozialdemokraten zu
suchen und mit dafür zu sorgen, daß die Phase der Rückkehr zu den alten
repressiven Mitteln so kurz wie möglich ist.
Die Repression betrifft auch Sie persönlich, wie das
aktuelle Reiseverbot nach Berlin verdeutlicht. Sind weitere Maßnahmen
gegen Sie als führenden Repräsentanten des Friedensprozesses zu
erwarten?
Es sieht tatsächlich so aus, als ob das, was wir jetzt erleben, nur der Anfang von dem ist, was kommen wird.
Was ist schief gelaufen?
Die PSOE-Regierung
hat den Prozeß insgesamt schlecht geleitet und sich anscheinend auf die
nächsten Wahlen konzentriert, um als Friedensbringerin in die
Geschichte einzugehen. Trotzdem muß sie auch jetzt daran interessiert
sein, daß es zu einer politischen Lösung kommt. Bisher haben die
Regierenden auf weitere Repression gesetzt, waren unbeweglich,
versuchten, im rechten Lager Sympathien zu sammeln und zu zeigen, daß
sie gegenüber ETA nicht klein beigeben. Leider war die PSOE nicht dazu
in der Lage, im humanitären Bereich Erleichterungen einzuräumen – wie
beispielsweise in der Frage der politischen Gefangenen. Kontraproduktiv
war schließlich die Veröffentlichung eines Videos, in dem sie sich
damit brüstete, keine Konzessionen gegenüber ETA gemacht zu haben. Oder
anders: Sie brüsteten sich gar damit, weniger Zugeständnisse gemacht zu
haben, als die Aznar-Regierung während der ETA-Waffenruhe 1998/99.
Diese ließ seinerzeit tatsächlich einige Gefangene ins Baskenland
verlegen. Es entstand zuletzt ein regelrechter Wettbewerb der PSOE mit
der spanischen Rechten, wer wem weniger Zugeständnisse gemacht hat.
Damit schadete die Regierungspartei ihren eigenen Interessen.
Nun heißt es, ETA hätte durch die Bombe von Madrid den
Friedensprozeß zerstört und damit auch eine Verlegung der baskischen
Gefangenen ins Baskenland verhindert. Diese hätte, so mutmaßte
beispielsweise der Madrider Korrespondent der FAZ am Mittwoch,
spätestens im Frühjahr 2007 begonnen. Angesichts des Attentats vom 30.
Dezember allerdings drängt sich natürlich die Frage auf, warum Premier
Zapatero nicht schon eher eine Geste des guten Willens gezeigt und
beispielsweise die Situation der baskischen Gefangenen erleichtert hat.
Was meinen Sie?
Die Frage haben wir uns auch oft
gestellt. Warum haben sie es nicht gemacht? Wir können uns das nicht
anders als mit wahltechnischen Überlegungen erklären. Oder damit, daß
der Druck der rechten Volkspartei (PP) so stark war, daß die Regierung
öffentlich nicht den Eindruck erwecken wollte, gegenüber ETA etwa
»einzuknicken«. Trotzdem bleibt festzuhalten: Sie hätte, ohne auch nur
das geringste an der Gesetzgebung ändern zu müssen, die politischen
Gefangenen näher ans Baskenland verlegen können. Dieser Schritt
wiederum hätte ein Klima befördert, das dem gesamten Prozeß förderlich
gewesen wäre. Dieses nicht zu machen, war auch aus ihrer Sicht
unintelligent. Es fällt schwer nachzuvollziehen, warum. Wir haben dafür
keine Erklärung. Schlechter als die PSOE in den vergangenen Monaten
kann man einen politischen Dialog nicht führen.
Nun warnte die baskische Seite in den vergangenen Monaten
mehrfach vor einer weiteren Blockade des Friedensprozesses. Auch wurde
im November und Dezember immer deutlicher: Der Unmut im Baskenland
darüber, daß sich nichts Substanzielles tut, wächst. Und trotzdem kam
das ETA zugeschriebene Attentat von Madrid für viele überraschend. Auch
für Sie?
Ja. Es war zu diesem Zeitpunkt nicht damit zu
rechnen. Generell allerdings weiß ich nicht, ob man von »Überraschung«
sprechen kann, wenn bei einem längeren Prozeß verschiedene
Grundvoraussetzungen mehrfach angemahnt und trotzdem nicht eingehalten
werden. Zudem weiß man aus der Geschichte des Konflikts, wozu Ignoranz
führen kann. Insofern kann man nicht grundsätzlich von Überraschung
sprechen. Wenn allerdings der spanische Ministerpräsident noch am 29.
Dezember absolut sicher auftritt und behauptet, der Prozeß laufe gut
und es sei alles klar, und am 30. Dezember passiert solch ein Attentat,
dann – tut mir leid – hat der Mann demonstriert, daß er sich eine
absolute Fehleinschätzung geleistet hat.
Trotzdem kam auch für Sie das Attentat überraschend.
In der Tat. Und die nun entstandene Situation ist alles andere als
wünschenswert. Der Prozeß gerät in eine noch tiefere Krise, und wir
müssen jetzt sehen, wie wir mit den neuen Tatsachen umgehen. Dazu
gehört zwar, erst einmal zu beraten, doch möchte ich an dieser Stelle
zunächst den spanischen Regierungschef beim Wort nehmen. Dieser hat am
29. Dezember auch gesagt: Wir stehen jetzt besser da als vor einem
Jahr, und in einem Jahr werden wir besser dastehen als jetzt. Ich nehme
ihn also beim Wort und antworte: Dann gehe ich davon aus, daß wir am
29. Dezember 2007 besser dastehen als am 29. Dezember 2006. Auf dieses
Ziel wollen wir hinarbeiten.
Das Gespräch führte Gerd Schumann in Donostia (San Sebastian)
Übersetzung: Stefan Natke