Am 4. August 1914 hatte sich Karl Liebknecht noch der Parteidisziplin gebeugt und mit der sozialdemokratischen Fraktion im deutschen Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite votiert. Als dort am 2. Dezember desselben Jahres über weitere Mittel für das Völkermorden abgestimmt wurde, verweigerte Liebknecht seine Stimme. Zur Begründung seiner Haltung überreichte er dem Reichstagspräsidenten zur Aufnahme in den stenographischen Bericht folgende Erklärung:
Meine Abstimmung zur heutigen Vorlage begründe ich wie folgt: Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes, um die politische Beherrschung wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und Bankkapital. Es handelt sich vom Gesichtspunkt des Wettrüstens um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei gemeinsam im Dunkel des Halbabsolutismus und der Geheimdiplomatie hervorgerufenen Präventivkrieg. Es handelt sich um ein bonapartistisches Unternehmen zur Demoralisierung und Zertrümmerung der anschwellenden Arbeiterbewegung. Das haben die verflossenen Monate trotz einer rücksichtslosen Verwirrungsregie mit steigender Deutlichkeit gelehrt.
Die deutsche Parole »Gegen den Zarismus« diente – ähnlich der jetzigen englischen und französischen Parole »Gegen den Militarismus« – dem Zweck, die edelsten Instinkte, die revolutionären Überlieferungen und Hoffnungen des Volkes für den Völkerhass zu mobilisieren. Deutschland, der Mitschuldige des Zarismus, das Muster politischer Rückständigkeit bis zum heutigen Tage, hat keinen Beruf zum Völkerbefreier. Die Befreiung des russischen wie des deutschen Volkes muss deren eigenes Werk sein.
Der Krieg ist kein deutscher Verteidigungskrieg. Sein geschichtlicher Charakter und bisheriger Verlauf verbieten, einer kapitalistischen Regierung zu vertrauen, dass der Zweck, für den sie die Kräfte fordert, die Verteidigung des Vaterlandes ist.
Ein schleuniger, für keinen Teil demütigender Friede, ein Friede ohne Eroberungen, ist zu fordern; alle Bemühungen dafür sind zu begrüßen. Nur die gleichzeitige dauernde Stärkung der auf einen solchen Frieden gerichteten Strömungen in allen kriegführenden Staaten kann dem blutigen Gemetzel vor der völligen Erschöpfung aller beteiligten Völker Einhalt gebieten. Nur ein auf dem Boden der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse und der Freiheit aller Völker erwachsener Friede kann ein gesicherter sein. So gilt es für das Proletariat aller Länder, auch heute im Kriege gemeinsame sozialistische Arbeit für den Frieden zu leisten.
Die Notstandskredite bewillige ich in der verlangten Höhe, die mir bei weitem nicht genügt. Nicht minder stimme ich allem zu, was das harte Los unserer Brüder im Felde, der Verwundeten und Kranken, denen mein unbegrenztes Mitleid gehört, irgend lindern kann; auch hier geht mir keine Forderung weit genug. Unter Protest jedoch gegen den Krieg, seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn heraufbeschwor, gegen die kapitalistischen Ziele, die er verfolgt, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen und luxemburgischen Neutralität, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und politische Pflichtvergessenheit, deren sich die Regierung und die herrschenden Klassen auch heute noch schuldig machen, lehne ich die geforderten Kriegskredite ab.
Berlin, den 2. Dezember 1914
Das Thema »Der Abschied der Linken vom Antimilitarismus« ist Thema der Podiumsdiskussion auf der XX. Rosa Luxemburg Konferenz am 10. Januar 2015 in Berlin, an der u. a. Oskar Lafontaine teilnehmen wird
Dieser Beitrag erschien am 2. Dezember 2014 auf der Titelseite der Tageszeitung junge Welt
Dokumentation sämtlicher Beiträge der XX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz vom 10.Januar 2015
Beiträge u.a. von: Oskar Lafontaine, Radhika Desai, Alex Rosen, Sharon Dolev, Hans Modrow
70 Seiten; 3,60 Euro
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Radhika Desai, Ökonomin, Universität Manitoba, Kanada (Foto: privat)
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Otto Köhler, Publizist (Foto: christian-ditsch.de)
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Hans Modrow, eheml. DDR-Ministerpräsident, Vorsitzender des Ältestenrates der Partei Die Linke (Foto: Hans Modrow)
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Oskar Lafontaine, Politiker und Publizist (Foto: Christian Ditsch)
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Peter Mertens, Vorsitzender der Partei der Arbeit Belgiens (PVDA/PTB) (Foto: PTB)
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Willy Wimmer, Politiker, ehem. Vizepräsident der OSZE (Foto: CDU/CSU)
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Sharon Dolev, Gründerin und Direktorin der Regionalen Friedens- und Abrüstungsbewegung in Israel (Foto: privat)
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Dota Kehr (Die Kleingeldprinzessin) mit Jan Rohrbach und Special Guests (Foto: Sophie Krische)
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Gian Paolo »Picchio« Picchiami, Sänger der italienischen Band Banda Bassotti (Foto: Banda Bassotti)
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The Pokes, Berlins No. 1 Folkpunk-Band (Foto: The Pokes)
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Iwan Rodionow, Chefredakteur von RT Deutsch, Russland (Foto: Screenshot Youtube)
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Linn Washington, Journalist, USA (Foto: privat)
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Mumia Abu-Jamal, Journalist, politischer Gefangener (USA) (Foto: jW-Archiv)
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Rolf Becker, Schauspieler (Foto: jW)
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Volker Hermsdorf, Journalist, jW-Autor (Foto: privat)
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