Dietmar Koschmieder
Die junge Welt schafft es selten, in die Tagesschau zu kommen. Von
ihr initiierte Themen schon eher, aber meistens wird dann die
Quellenangabe vergessen. Am Donnerstag dieser Woche war das anders:
Aufgrund der heftigen Mediendebatte zur Diskussion der
diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz schickte die
Tagesschau-Redaktion mal rasch ein Kamerateam bei der jungen Welt
vorbei. Die Aufnahmen aus der Redaktion waren zwar nur um 17 Uhr zu
sehen, aber junge Welt wurde auch danach mehrmals als Quelle des
umstrittenen Diskussionsbeitrages benannt. Wer hätte geahnt,
daß eine Debatte mit dem Titel »Wo bitte geht’s
zum Kommunismus?« alle Medien und führenden Politiker im
Lande so sehr beschäftigt? Die erste Tagesschau-Würdigung
fand die junge Welt übrigens Anfang April 1995: Damals wurde
dort das Aus der Zeitung verkündet. Das war aber ein Irrtum,
weil einige Mitarbeiter den Verlag 8. Mai GmbH und die
Genossenschaft LPG junge Welt eG gründeten und die Zeitung
gemeinsam mit 1088 Genossinnen und Genossen bis heute weiter
herausgeben. Erst 2007 schlugen wieder die Wellen so hoch,
daß diese auch in die Tagesschau schwappten: Der ehemalige
Direktor der Humboldt-Universität Heiner Fink trug eine
Grußbotschaft von Christian Klar an die Teilnehmer der
Rosa-Luxemburg-Konferenz vor. Diese Rede war zwar bereits bei uns
veröffentlicht worden, aber es dauerte etliche Wochen, bis das
in den Fernsehanstalten jemand bemerkte. Diesmal war man bei der
ARD schneller: Nachdem alle Zeitungen darüber berichtet haben,
daß die Vorsitzende der Linkspartei in einem Artikel für
die junge Welt den Begriff Kommunismus benutzt hat, nachdem im
Internet geradezu der Kalte Krieg ausgebrochen ist, wie die
Frankfurter Rundschau bemerkte, wird diese Diskussion auch in der
Tagesschau notiert. Immerhin noch vor der Konferenz.
Die Podiumsdiskussion, zu der wir auch Gesine Lötzsch
eingeladen haben, trägt den Untertitel »Linker
Reformismus oder revolutionäre Strategie – Wege aus dem
Kapitalismus«. Inge Viett von der Radikalen Linken (und
ehemaliges Mitglied der RAF) sowie Linksparteivorsitzende Gesine
Lötzsch haben wir gebeten, zur Vorbereitung der Diskussion in
der jungen Welt jeweils ihre Positionen zu benennen. Im Ergebnis
haben wir ein Panorama linker Diskussion im Lande: Innerhalb der in
diesen Beiträgen entwickelten Positionen bewegt sich die
inhaltliche Gestaltung der Konferenz, aber auch die unserer
Tageszeitung. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme besteht
Einigkeit darüber, daß bestehende gesellschaftliche
Verhältnisse auf Dauer überwunden werden müssen und
eine Gesellschaft frei von Ausbeutung das Ziel ist. Große
Meinungsverschiedenheiten gibt es bei der Frage, wie dieses Ziel zu
erreichen ist. Und deshalb liegen auch unterschiedliche
Vorschläge vor, wie die Kämpfe zu organisieren sind.
Daß diese Debatten den Nerv der Zeit treffen und eine
gesamtgesellschaftliche Relevanz haben, beweist unfreiwillig der
enorme Medienrummel, den beide Beiträge ausgelöst haben.
Auch wenn es überraschend ist, daß kaum ein Medium
bereit ist, die zur Diskussion stehenden Positionen richtig
wiederzugeben. So stimmt nicht, daß hier eine Rede
vorabgedruckt wurde. Es stimmt auch nicht, daß Gesine
Lötzsch etwas anderes als einen demokratischen Sozialismus
eingefordert hätte – auf einer inhaltlichen Position,
wie das wohl jeder anständige Sozialdemokrat oder Christ kaum
anders formuliert hätte. Auch im Rahmen der inhaltlichen
Debatte um die diesjährige Rosa-Luxemburg-Konferenz kann
deshalb an vielen Stellen nachgewiesen werden: Sie lügen wie
gedruckt. Und die junge Welt druckt, wie sie lügen. Über
diese Erkenntnis freuen wir uns allerdings keineswegs, weil der
beachtliche Verfall bürgerlicher demokratischer Kultur nicht
die linken Kräfte im Lande stärkt.
Es zählt nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten,
daß über kapitalistische Verhältnisse offen und
unter Benennung aller Erkenntnisse und Fakten diskutiert werden
darf. Es dürfen öffentlich auch keine
Schlußfolgerungen aus solchen Bestandsaufnahmen gezogen
werden. Wer sich diesem Diktat widersetzt, wird massiv unter Druck
gesetzt. Das geschieht auf vielen Ebenen: Die eingeladenen
Teilnehmer werden bedrängt, weil sie es wagen, bei dem
Veranstalter und den Gästen überhaupt auch nur
aufzutreten. Andere wiederum wollen den Veranstaltern vorschreiben,
wer einzuladen und was zu diskutieren ist – und was nicht.
Die Urania als Hausherr und Vermieter der Konferenzräume wird
unter Druck gesetzt, weil sie mit ihrer Vermietung diese freie Rede
überhaupt erst ermöglicht. Die andere Ebene dieser Hetze
kann man im Internet eindrucksvoll nachlesen. Exemplarisch sei hier
der Internetnutzer »Berliner Kindl« und seine
Schlußfolgerungen zur medialen Debatte genannt:
»Vielleicht«, schreibt er auf fact-fiction.net,
»folgen Gesine Lötzsch und Inge Viett dem Beispiel von
Rosa Luxemburg in den Freitod. Der Berliner Landwehrkanal hat auch
seine Vorzüge...«
Wir versprechen an dieser Stelle: Weder die Tageszeitung junge Welt
noch die Rosa-Luxemburg-Konferenz werden für Medien, Sekten
oder Fraktionen mit egal welchem Glaubensbekenntnis gemacht. Wir
verweigern uns keiner sinnvollen Debatte. Wir lassen uns aber von
niemandem vorschreiben, wen wir einzuladen haben und wen nicht, was
wir zu diskutieren haben und was nicht. Deshalb stehen wir unter
enormem Druck. Diesem werden wir aber auch dank der
Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser und
Besucherinnen und Besucher standhalten.