Alexander Reich
»Grândola, Vila Morena« von José »Zeca« Afonso ist Portugals inoffizielle
Nationalhymne und war ein Grund dafür, daß Luís Galrito mit 15 Jahren
im Süden des Landes zu komponieren anfing
. Heute ist Galrito Musiklehrer und Liedermacher
.
Er hat das Lied, das als Signal der Nelkenrevolution auch in
Geschichtsbücher einging, also von allen Ecken und Enden her studiert
. Es beginnt mit der Aufstellung der Männerchöre aus der kleinen Stadt Grândola
. Man hört ausschließlich die Schritte der Sänger, die Arm in Arm auf dem Kiesboden des Alentejo wanken
. Landarbeiter, viele seit Generationen Tagelöhner
.
Als dieser monotone Takt am 25.4.1974 um null Uhr 20 im Radio gesendet
wurde, wußten die Offiziere des Movimento das Forças Armadas (MFA): Die
Panzer waren aus den Kasernen gerollt
.Kommunistische Mehrheiten sind an diesem Rand Europas bis heute nichts Extraordinäres
.
Bei den landesweiten Kommunalwahlen am 29. September 2013 gewannen die
Kommunisten (PCP) den Bürgermeistersitz in Grândola zurück
. Drei Wochen zuvor war Luís Galrito mit dem Handperkussionisten António Hilário bei der »Festa do Avante« aufgetreten
. Die beiden gehören auf dieser jährlichen Massenveranstaltung der PCP-Wochenzeitung zum Inventar
.
Es gibt einen Youtube-Clip von 2011, »Hasta siempre Comandante«,
Galrito singt die Strophen, das Publikum den Refrain, wobei es von
Hilário mit dem linken Zeigefinger dirigiert wird
. Mit der rechten Hand trommelt der Mann aus Faro weiter
.Zeca Afonso kam 1961 für drei Jahre nach Faro
. Er hatte eine Tourneereise durch Angola hinter sich, das er – wie Mosambik – aus der Kindheit kannte
. In beiden Kolonien begannen Unabhängigkeitskriege, was Afonso politisch radikalisierte, und später die Offiziere des MFA
.
Afonso beendete in Faro sein Langzeitstudium mit einer Arbeit über
Sartre und fand solidarischen Zusammenhalt und zum Protestlied (»canção
de intervenção«) – 1964 komponierte er die erste Fassung des polyphonen
Gesangs von »Grândola, Vila Morena«, der jede Instrumentalbegleitung
überflüssig macht
. Im weiteren Verlauf der 60er wurde Afonso erst Lehrer in Mosambik und schließlich mit Berufsverbot belegt
.Luís Galrito und António Hilário, die am 11
.
Januar in Berlin bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz dieser Zeitung
auftreten werden, haben viele Afonso-Lieder im Repertoire; sicherlich
kennt in Portugal jedes Kind mehr als zwei
.
Das über die Ameise oder den Maulwurf (»Eu vou ser como a toupeira/Que
esburaca«) oder das über die alte Frau, die nachts Kräuter verkaufen
muß, um nicht zu verhungern (»A mulher de erva«, 1971)
. »Lá no Xepangara« (1974) schildert den Alltag in einer Satellitenstadt Maputos aus Sicht weißer Kolonialherren
.Afonso hat auch über Politiker gesungen
.
»Os fantoches de Kissinger« (1976) wäre da zu nennen, und natürlich das
volkstümlich instrumentierte Kampflied »Viva o poder popular« aus dem
wahrscheinlich besten Jahr Portugals, 1975
.
Damalige Bemühungen der europäischen Sozialdemokratie, das
revolutionäre Land zu »demokratisieren«, werden mit der Würdigung zweier
Jahrhundertgiganten der Sozis als Affen berücksichtigt: »O Willy Brandt
macaco, / O Giscard (d’Estaing) macaco«
.Man
kann davon ausgehen, daß Luís Galrito und António Hilário für das
Konzert in Berlin eine der Situation angemessen kämpferische Setlist
bereithalten
.
Die Tradition, in der ihre Musik steht, beginnt spätestens mit den
»Cantigas de escárnio e maldizer« (Hohn- und Spottlieder) im
Spätmittelalter, konnte hier also wirklich nur angerissen werden
.